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  • Politik

Wenn das Stimmvolk eine Lektion erteilt

10.05.2024 – Theodora Peter

Die Schweizerinnen und Schweizer wollen höhere Altersrenten. Das haben die Stimmberechtigten am 3. März 2024 an der Urne deutlich klargemacht. Das Ja zur Initiative der Gewerkschaften für eine 13. AHV-Rente ist ein historisches Verdikt.

Er ist das Gesicht des linken Triumphs: Der SP-Politiker Pierre-Yves Maillard, Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes. Foto Peter Schneider, Keystone

Erstmals in der Geschichte stimmte das Volk einer linken Initiative zum Ausbau des Sozialstaates zu. Über 58 Prozent der Stimmenden sowie 15 von 23 Kantonen (siehe Karte) stellten sich hinter das Volksbegehren «Für ein besseres Leben im Alter», das eine zusätzliche Monatsrente der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) einfordert. Gross war der Jubel bei den Initianten und ihren Verbündeten von SP und Grünen: Von einem «historischen Moment» sprach Pierre-Yves Maillard, Präsident des Gewerkschaftsbundes.

Noch vor einem Jahrzehnt war eine ähnliche Initiative, die eine allgemeine Rentenerhöhung um 10 Prozent gefordert hatte, an der Urne klar gescheitert. Doch inzwischen hat der Wind gedreht. Das System der Altersvorsorge – zu der auch die privaten Pensionskassen gehören – sichert den Erhalt des Lebensstandards im Alter immer weniger. Zudem belasten steigende Ausgaben für Krankenkasse, Miete und Strom das Portemonnaie der Rentnerinnen und Rentner. Gemäss den Initianten macht der aufgelaufene Kaufkraftverlust just eine zusätzliche AHV-Monatsrente aus. Diese entspricht einer Rentenerhöhung von 8,3 Prozent.

Im rechten Lager herrschte nach dem Urnengang Katerstimmung. Die bürgerlichen Parteien hatten die Sprengkraft der sozialpolitischen Initiative massiv unterschätzt. Insbesondere die SVP, sonst nahe am Puls des Volkes, wurde bei dieser Abstimmung von der eigenen Basis im Stich gelassen. Auch das Argument der Wirtschaft, der Ausbau des Sozialwerks sei zu teuer und führe zu höheren Abgaben und Steuern, verfing diesmal nicht.

Angriffe auf Fünfte Schweiz

Die Auslandschweizerinnen und -schweizer stimmten der Initiative mit 65 Prozent Ja noch deutlicher zu als der inländische Durchschnitt. Die Fünfte Schweiz war im Rahmen der Gegenkampagne ins Visier geraten – so wie die ausländischen Arbeitskräfte, die nach der Pensionierung in ihr Heimatland zurückkehren. Die SVP warnte vor «Luxusrenten», von denen Rentnerinnen und Rentner im Ausland dank starkem Franken und tieferen Lebenshaltungskosten profitierten. Dieser Vorwurf empörte zahlreiche Auslandschweizerinnen und -schweizer. Für viele ist es gerade das knappe Budget, das sie bei der Pensionierung motiviert, in ein anderes Land zu ziehen. «Mit unseren Renten könnten wir in der Schweiz nicht leben», so der Tenor vieler Zuschriften an die «Schweizer Revue». Wären die Betroffenen nicht ausgewandert, könnten sie in der Schweiz allenfalls Anspruch auf Ergänzungsleistungen geltend machen – was den Staat letztlich mehr Geld kostet.

Einführung per 2026

Die zusätzliche Rente soll – wie dies die Initiative verlangt – ab dem Jahr 2026 ausbezahlt werden, versicherte der Bundesrat nach dem Volksentscheid. Wie der Ausbau langfristig finanziert wird, war bei Redaktionsschluss noch offen. Denkbar sind höhere Lohnabzüge oder eine weitere Erhöhung der Mehrwertsteuer. Die Mitte brachte zudem die Idee einer Finanztransaktionssteuer ins Spiel. Gemäss Berechnungen des Bundes kostet die 13. AHV-Rente jährlich rund 4 bis 5 Milliarden Franken. Zum Vergleich: Heute gibt das Sozialwerk jährlich rund 50 Milliarden für Renten aus.

Höheres Rentenalter chancenlos

Vom Tisch ist derzeit eine Erhöhung des Rentenalters. Die Initiative der Jungfreisinnigen «für eine sichere und nachhaltige Altersvorsorge» stiess beim Urnengang vom 3. März auf eine starke Ablehnung von fast 75 Prozent Nein-Stimmen. Die Initianten wollten, dass Frauen und Männer erst mit 66 statt mit 65 Jahren in Pension gehen. Danach hätte das Rentenalter an die durchschnittliche Lebenserwartung gekoppelt werden sollen. Davon wollte das Stimmvolk aber nichts wissen.

Die Abstimmungen vom 9. Juni 2024 im Überblick

Prämien-Entlastungs-Initiative

Die Initiative «Maximal 10% des Einkommens für die Krankenkassenprämien» der SP Schweiz will die staatlich finanzierten Prämienverbilligungen stark ausbauen. Durch eine Deckelung der Prämien sollen vor allem Familien entlastet werden sowie die Kaufkraft erhalten bleiben. Die Gegner warnen vor zu hohen Kosten für den Bund. Das Parlament sprach sich für einen moderaten Ausbau der Prämienverbilligungen in den Kantonen aus. (TP)
 

Kostenbremse-Initiative

Die Mitte-Partei will das Ziel tieferer Krankenkassenprämien mit einer Initiative für eine Kostenbremse im Gesundheitswesen erreichen. Sie soll die Politik zum Eingreifen zwingen, wenn die Gesundheitskosten im Vergleich zu den Löhnen zu stark ansteigen. Die Gegner befürchten Leistungskürzungen. Anstelle einer starren Kostenbremse schlägt das Parlament vor, dass der Bundesrat alle vier Jahre Kosten- und Qualitätsziele festlegt. (TP)
 

Initiative gegen «Impfzwang»

Mit der Initiative «Für Freiheit und körperliche Unversehrtheit» wollen Kritiker der Coronamassnahmen das Verbot einer «Impfpflicht» in die Verfassung schreiben. Für die Gegner geht die Initiative zu weit. Schon heute kann niemand gegen seinen Willen geimpft werden. Im Epidemiefall ist ein Obligatorium für besonders exponierte oder gefährdete Gruppen möglich. Wer sich trotzdem nicht impfen lässt, kann von bestimmten Tätigkeiten – etwa im Spital – ausgeschlossen werden. (TP)
 

Gesetz zur Stromversorgung mit erneuerbaren Energien

In der Schweiz soll rasch mehr Strom aus erneuerbaren Energiequellen wie Wasser, Sonne und Wind produziert werden. Gegen das vom Parlament beschlossene Gesetz hat die Fondation Franz Weber das Referendum ergriffen. Aus Sicht der Gegner gefährdet der Bau von Solaranlagen oder Windturbinen den Schutz von Landschaft und Natur. Zu den Befürwortern der Vorlage gehören – nebst den meisten Parteien – auch grosse Umweltorganisationen wie WWF oder Greenpeace. (TP)

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Kommentare :

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    Elena Lacroix Jaeggy, France/Suisse 16.05.2024 um 11:43

    D'un point de vue strictement économique, il aurait été plus raisonnable de diminuer les coûts, freiner la spirale des prix, du logement à l'alimentation, réduire la consommation, plutôt qu'augmenter les retraites par un 13ème mois. Ce choix est significatif de l'incapacité des populations à comprendre qu'il faut sortir enfin du "toujours plus", du dogme de la croissance, des ressources tenues pour illimitées. Une politique qui s'avèrera tôt ou tard suicidaire.

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    Matthias Niklaus, Mexiko-Stadt 16.05.2024 um 03:54

    Ich bedaure den Entscheid. Maillard hat nicht redlich gehandelt. Die Finanzierung ist überhaupt nicht geklärt und ein Grossteil der Rentner benötigt die 13. Rente nicht wirklich. Eine sehr populistische Initiative, welche den Schweizern noch zu schaffen machen wird.

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    René Kuster, Deutschland 15.05.2024 um 15:27
    Bei Knappheit in der AHV-Kasse sollten allfällige Beitragserhöhung nicht über die Menschen gemacht werden, sondern über die Mehrwertsteuer.
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      Arye-Isaac Ophir, Israel 16.05.2024 um 09:15

      Was heisst hier "nicht über die Menschen..."?!? Das Problem ist schliesslich ein menschliches, und genug mit der Entmenschlichungspolitik auf Kosten der zahlenden Menschen!

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    Sandro Zampatti, Sens sur Seille, Frankreich 15.05.2024 um 14:34

    Zum AHV Entschluss: Diese Initiative kam positiv zustande, nicht weil alles teurer wurde, sondern der Hauptgrund liegt in der ganzen Finanzpolitik unseres Bundes. In den letzten Jahren wurde bald jedem bewusst, wohin die Steuergelder wandern. In aller Landen werden Millionen, gar Milliarden verteilt, unter dem Mantel Hilfsgelder, Entwicklungshilfe, usw. Es ist schön, dass dies die Mehrheit geschnallt hat. Und im Mantel der sozialen Wohlfahrt ist ein grosser Handlungsbedarf!

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    Raymond Lehmann, France 15.05.2024 um 10:50

    Concernant la 13 ème rente AVS, certains se demandent comment elle sera financée? Comment ont été financés les 109 Milliards de Francs pour sauver le Crédit Suisse? Est-ce qu’on vous a demandé votre avis? Qu’en est-il des fameux crash tests mis en place auparavant, qui garantissaient qu’une telle débâcle financière ne puisse avoir lieu?

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      Matthias Niklaus, Mexiko-City 16.05.2024 um 04:01

      Le CS a reçu un crédit. Il sera repayé. L'AVS est une dépense éternelle. Très différent! Mais comme vous, trop de gens ont argumenté! Incroyable!

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        Arye-Isaac Ophir, Israel 16.05.2024 um 15:53

        N.B.: Keiner lebt ewig!

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