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  • Politik

Atomwaffen verbieten: eigentlich ja, aber ...

22.03.2024 – Christof Forster

Die Schweiz strebt eine Welt ohne Kernwaffen an. Trotzdem will der Bundesrat vorderhand den Atomwaffenverbotsvertrag der Uno nicht unterzeichnen. Das hat auch mit der Annäherung an die Nato zu tun.

Zum Selbstverständnis der Schweiz gehört – ihr Einsatz für Konfliktlösungen, Abrüstung und eine Welt in Frieden. Auch mit diesen Zielen vor Augen bewarb sich der Bundesrat für einen temporären Einsitz in den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Noch bis Ende 2025 steht das Land zuvorderst auf der Weltbühne und debattiert mit den Grossmächten über politische Krisen, Sanktionen oder Friedensmissionen. Daher läge es auf der Hand, dass der Bundesrat ohne zu zögern den Uno-Kernwaffenverbotsvertrag unterzeichnet. Die Schweiz nahm an den Verhandlungen teil und stimmte der Verabschiedung des Abkommens 2017 – mit Vorbehalten – zu.

Der Vertrag geht viel weiter als bestehende Abkommen auf diesem Gebiet. Er verbietet Herstellung, Besitz, Einsatz und Weitergabe von Atomwaffen. Auch Drohungen mit Nuklearwaffen und Tests sind verboten. Der Grundstein der heutigen nuklearen Weltordnung ist der 1968 verhandelte Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NPT). Diesen anerkannten die USA, Russland, Grossbritannien, Frankreich und China als Kernwaffenstaaten.

Die Schweizer Politik tut sich schwer mit dem Atomwaffenverbotsvertrag. Der Bundesrat findet zwar, der Vertrag schliesse eine Lücke. Im Unterschied zu biologischen und chemischen Waffen seien Kernwaffen die einzige Kategorie von Massenvernichtungswaffen, zu der es bis jetzt kein umfassendes Verbotsabkommen gegeben habe. Ein Beitritt wäre zudem Ausdruck der humanitären Tradition der Schweiz. Trotzdem steht der Bundesrat auf der Bremse. Der Vertrag sei das falsche Mittel, um diese Ziele zu erreichen, sagte Aussenminister Ignazio Cassis nach der Verabschiedung des Vertrags. An dieser Haltung hat sich bis heute nichts geändert.

Allerdings macht das Parlament Druck. Bereits mehrmals hat es die Regierung aufgefordert, den Vertrag zu unterzeichnen. Mitglieder aller Parteien fordern ein Verbot – allerdings aus unterschiedlichen Gründen. Die Linke aus pazifistischen Motiven. Vertreter der SVP hingegen erhoffen sich von einem Beitritt, dass damit die Annäherung der Schweiz an die Nato schwieriger wird. Dieser Aspekt erklärt wohl auch das Zögern des Bundesrats. Mit dem Ukraine-Krieg ist das westliche Verteidigungsbündnis Nato wichtiger geworden für die Schweiz. Die geplante Beteiligung am Raketen-Schutzschirm Sky Shield (siehe «Revue» 5/2023) ist der jüngste Schritt der Schweiz auf die Nato zu. Seit 1996 ist sie mittels der Partnerschaft für den Frieden ein Nato-Partnerland.

Befürworter halten dagegen, dass die Nato beispielsweise auch mit Österreich zusammenarbeite, das den Vertrag unterzeichnet hat. Ein Beitritt der Schweiz würde deshalb die Sicherheitspolitik des Landes nicht schwächen. Allerdings üben westliche Staaten Druck aus auf die Schweiz, sich endgültig gegen den Vertrag zu entscheiden. Dasselbe passierte mit dem damals noch neutralen Schweden. Die Nato erhöht den Preis für ihre Freundschaft.

Diese Bedenken hat die Bundesverwaltung in ihrem Papier von 2018 bereits vorweggenommen. Dort heisst es, bei einem bewaffneten Angriff würde die Schweiz mit einiger Wahrscheinlichkeit mit Kernwaffenstaaten oder Bündnissen zusammenarbeiten. Mit einem Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag würde sich die Schweiz die Option verschliessen, sich im Rahmen solcher Bündnisse explizit unter einen Nuklearschirm zu stellen. Das Fazit der Bundesexperten ist klar: Aus aussen- und sicherheitspolitischer Sicht scheint der Beitritt zu einem Abkommen, das die Sicherheitsdoktrin der für die Schweiz relevantesten Partner nicht nur in Frage stellt, sondern mittels einer Stigmatisierungsagenda sogar direkt angreift, wenig ratsam.

Als die Schweiz nach der eigenen Atombombe strebte

Die Schweiz liebäugelte von 1945 bis 1988 damit, selber Atombomben zu entwickeln. Die ersten Ideen dazu wurden bereits einen Monat nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki lanciert. Ab 1946 arbeitete der Bundesrat und die ins Leben gerufene Studienkommission für Atomenergie (SKA) insgeheim an der «Schaffung einer schweizerischen Uran-Bombe oder anderer geeigneter Kriegsmittel, die auf dem Prinzip der Atomenergie-Verwendung beruhen». Bis 1955 war es der SKA gelungen, zehn Tonnen Uran zu beschaffen, wovon die Hälfte als militärische Kriegsreserve eingelagert wurde. Der Bundesrat hielt im Juli 1958 in einer Grundsatzerklärung fest:

«In Übereinstimmung mit unserer jahrhundertealten Tradition der Wehrhaftigkeit ist der Bundesrat deshalb der Ansicht, dass der Armee zur Bewahrung der Unabhängigkeit und zum Schutze unserer Neutralität die wirksamsten Waffen gegeben werden müssen. Dazu gehören Atomwaffen.» Zwei Volksinitiativen gegen dieses Ansinnen scheiterten 1962 und 1963 an der Urne. Im Frühjahr 1964 hiess das Militärdepartement Atombombentests in der Schweiz gut (!) und plante die Anschaffung von zuerst 50 und später weiteren 200 Atombomben. Der Meinungsumschwung dauerte Jahre: 1969 unterzeichnete die Schweiz den Atomwaffensperrvertrag und erst 1988 wurde das für die Schweizer Atombombe zuständige Gremium aufgelöst. (MUL)

Blog des Nationalmuseums zum Bombenprojekt: revue.link/atombombe

Zum Thema im Historischen Lexikon der Schweiz: revue.link/atombombe2

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